B-Movie - das Kino auf St. Pauli
im Hinterhof und ohne Werbung

Up and Coming: Kompliz*innen der "Anderen Kinokultur"

Eine Debatte anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des B-Movie Kinos.

Am Samstag den 29. Juli 2017 feierte das B-Movie Kino, Kulturinitiative auf St. Pauli e.V. sein 30-jähriges Jubiläum. Unter anderem mit einem Symposium mit der Fragestellung wie sich die vom B-Movie und vielen anderen Initiativen zelebrierte "Andere Kinokultur" konstituiert.

Teilnehmer*innen:

Dunja Bialas
Chefredakteurin artechock filmmagazin e.V. www.artechock.de, ww.underdox-festival.de

Dunja Bialas ist Vorstand im Verband der Filmkritik, Kuratorin für das Underdox-Festival und Chefredakteurin von artechock, dem dienstältesten Internet-Filmmagazin im deutschsprachigen Raum. artechock wurde 1996 gegründet, operiert als gemeinnütziger Verein, und erhält seit 6 Jahren von der Stadt München eine kulturelle Förderung. Die Arbeit der Redakteur*innen findet in dezentral privaten Räumen statt.

Tobias Lindemann
Disponent und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Grandfilm GmbH www.grandfilm.de

Tobias Lindemann ist bei Grandfilm für die Dispo und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Gegründet wurde Grandfilm 2014 von Mikosch Horn, Patrick Horn und Stefan Butzmühlen mit dem Ziel den Film NORTE von Lav Diaz in die Kinos zu bringen. Grandfilm erhält teilweise Projektgelder der Filmförderung, hat insgesamt 4 Mitarbeiter*innen, ein Büro auf dem ehemaligen AEG-Gelände in Nürnberg und bringt pro Jahr bis zu 8 Filmen heraus.

Verena von Stackelberg
Betreiberin vom Wolf Kino in Berlin www.wolfberlin.org

Verena von Stackelberg ist Betreiberin vom Wolf Kino in Berlin, Neukölln, das am 01. März 2017 eröffnete. Der Umbau des ehemaligen Bordells in ein Kino und hybriden Kunstraum wurde teilweise durch eine Crowdfunding Kampagne finanziert und die digitale Projektionstechnik durch das Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert. Das Wolf Kino hat eine Bar und Caffee, zwei Kinosäle, einen Raum für Postproduktion, und einen flexibel nutzbaren Raum für Ausstellungen und Veranstaltungen; das Kernteam besteht aus 6 Personen.

Anja Dornieden und Philip Widmann
Labor Berlin e.V. www.ojoboca.com, www.philipwidmann.com, www.laborberlin-film.org

Anja Dornieden und Philip Widmann sind Experimentalfilmer und seit 2009 bzw. 2010 bei LaborBerlin. LaborBerlin ist ein selbst organisiertes Filmlabor und versteht sich als Plattform für den Austausch rund um das analoge Filmschaffen. Der Verein wurde 2009 gegründet, 2015 wurde im Zuge einer Crowdfunding Kampagne vermehrt analoge Technik angekauft. Der Verein ist mitgliedergeführt und -finanziert. Aktuell arbeitet LaborBerlin unter anderem an dem durch EU-Mittel geförderten Projekts RE MI (Re-Engineering Moving Image www.re-mi.eu). Die Räume von LaborBerlin befinden sich in einer Genossenschaft in Wedding. LaborBerlin ist in regem Austausch mit internationalen Initiativen und Filmlaboren, organisiert Screenings und veranstaltet regelmäßig Workshops, in denen verschiedene Aspekte des Analogfilms vermittelt und diskutiert werden.

Manja Malz und Sarah Adam
B-Movie Kulturinitiative auf St. Pauli e.V. www.b-movie.de

Manja Malz und Sarah Adam sind Mitglieder des B-Movie Kulturinitiative auf St. Pauli e.V. Das B-Movie Kollektiv wurde 1987 gegründet und besteht momentan aus 20 ehrenamtlichen Mitgliedern. In thematisch gefasste Monatsreihen werden nicht-kommerzielle, unabhängige und oftmals vergessene Filme gezeigt. Das B-Movie finanziert sich durch die generierten Einnahmen, Raumvermietung und gelegentliche Projektförderung durch die Filmförderung Hamburg Schleswig Holstein. Im B-Movie finden zudem Veranstaltungen statt, die in Kooperation mit anderen Hamburger Gruppen und Institutionen entstehen, zum Beispiel dem Gehörlosenkino, der Q-Movie Bar, dem DokumentarfilmSalon, dem Arab Filmclub sowie dem Hörbar e.V. Gleichzeitig ist das B-Movie traditionell Festivalkino für viele kleinere und größere Hamburger Filmfestivals.

Verlauf

Sarah Adam: Herzlich Willkommen an unsere Symposiumsteilnehmer*innen und Gäste, wir freuen uns sehr, dass Ihr alle hier seid und heute Abend mit uns Debattieren und Feiern möchtet.

Nach 30 Jahren Kinoarbeit stellte sich im B-Movie Kollektiv die Frage nach den gewachsenen und veränderten Strukturen, Abläufen und der inhaltlichen Ausrichtung, mit der wir mehr oder weniger konstant hochwertiges, unabhängiges und erfolgreiches Kino machen. Der Gedanke hinter diesem Symposium ist in der Tat diejenige einer Art Evaluierung. Nachdem sich unsere internen Debatten jahrelang um die Digitalisierung, neue Kontexte des Bewegtbildes und die Position von Archiven gedreht haben, möchten wir uns zum Jubiläum selber im Spiegel betrachten und uns fragen wie wir es überhaupt geschafft haben, so lange durchzuhalten. Dazu formulieren wir konkrete Fragen, die wir mit unseren Gästen diskutieren möchten: Was ist das "Andere Kino", ist das eher eine angenommene Fremdzuschreibung oder selbstbewusste Eigendefinition, welche Bedeutung haben alternative Arbeitsweisen, wie funktionieren kreative Finanzierungsmodelle, wie gestalten sich die Netzwerke, und gibt es gemeinsame Ideale und Zukunftsvorstellungen? Somit nun direkt die Frage, wie interpretiert und was versteht Ihr individuell und als Verteter*innen der jeweiligen Projekte unter der "Alternativen Kinokultur"? Existiert hier ein Verständnis als Off-Status, als Subkultur, oder Underground, und welche Berührungspunkte gibt es mit der "großen" Film- und Kinoindustrie?

Manja Malz: Kultur ist schon ein sehr komplexer Begriff, bei dem sich generell die Frage stellt, ob dies in ein "oben" und "unten" aufgeteilt werden kann. Das Spannende am B-Movie ist, dass wir eine andere Kinokultur als diejenige betreiben, die überall sonst stattfindet. Wir richten uns nicht danach, was gerade auf dem Markt ist, sondern wir machen etwas ganz eigenes, wir zeigen zum Beispiel viel aus Archiven oder von unabhängigen Filmemacher*innen.

Tobias Lindemann: Was uns bei Grandfilm wichtig ist, ist das Kino- und Filmkultur nicht nur auf Festivals stattfindet, sondern außergewöhnliche Filme auch in mittelgroßen und kleineren Städten gezeigt werden können. Denn es ist dramatisch, wie wenig sich die etablierten Verleiher dafür zuständig fühlen, avancierte Filme ins Programm zu nehmen; vereinzelt gerade mal noch Filme, die in Cannes im Wettbewerb laufen oder in Venedig oder Toronto etc. einen Preis gewinnen.

Dunja Bialas: Aus filmkritischer Perspektive heißt für uns Kinokultur eben auch Filmkultur. artechock ist es wichtig zu zeigen, dass ein anderes Kino existiert, in dem Diskurse geführt werden, und dass aus mehreren Quellen und Positionen gesagt wird: hier das sind die spannenden und interessanten Filme. Denn viele Leute brauchen etwas länger, um diese zu entdecken und neue Sehgewohnheiten zu sammeln. Wir arbeiten daran, dass sich auch in der Position der Filmkritik etwas wandelt, wovon dann natürlich wiederum die Besucher und die Kinos profitieren.

Verena von Stackelberg: Ich denke, dass wir alle untereinander als Netzwerk ganz wichtig sind. Die Idee ist ja - was z.B. Grandfilm macht - die Brücke zu spannen und Filme zu zeigen, die nicht überall präsent sind. Ich verstehe mich als Botschafterin, die versucht, das, wovor man eigentlich Berührungsängste hätte, anfassbar zu machen und Kino und Filmkultur zu leben.

Manja Malz: Interessant sind auch die mehreren Kino-Generationen. Arthouse Kinos beklagen sich sehr oft, dass sie ein immer älter werdendes Publikum haben. Zu uns ins B-Movie kommen wirklich alle möglichen Leute von 20 bis 80 Jahren. So sind es dann oft kleinere unabhängigere Kinos wie zum Beispiel das Wolf und wir, die die jüngere Kinogeneration mit Filmkultur vertraut machen.

Philip Widmann: Ich finde es ganz gut die "Kinokultur" noch einmal zu differenzieren, da diese für LaborBerlin und die einzelnen Filmemacher*innen eigentlich keine Bedeutung hat - abgesehen von der Rolle der Kinos im Rahmen von Festivals. Bei uns entstehen hauptsächlich kurze und experimentelle Arbeiten, die außerhalb von einzelnen Festivals per se schon selten gezeigt werden. Ein- bis zweimal im Jahr veranstaltet LaborBerlin Screenings, bei denen Filme der Mitglieder und andere Arbeiten gezeigt werden. Diese finden meist nicht im Kino statt, sondern in alternativen Räumen, wie zum Beispiel im SPEKTRUM.

Anja Dornieden: Wir haben als Verein nicht die Aufgabe die bei LaborBerlin entstandenen Filme zu verbreiten, sondern Jed*er Filmemacher*in hat hier individuelle Strategien. Zum Beispiel bei den Filmen von mir und Juan Gonzales Monroy, sind wir dazu übergegangen Touren zu organisieren, in denen wir selber mit eigenem 16mm Projektor von Kino zu Kino fahren. Heutzutage gibt es wieder sehr viele Filmemacher*innen die die Auswertung Ihrer Arbeiten selbst in die Hand nehmen.

Sarah Adam: Ein weiterer Aspekt der sich hier herauskristallisiert ist nicht nur das Zeigen von Filmen, sondern auch das debattieren und kontextualisieren von Film. Was ja zum Beispiel auch bei LaborBerlin stattfindet, Ihr gebt nicht nur Workshops sondern veranstaltet im Oktober eine mehrtägige Veranstaltungsreihe zum Thema "Film in the Present Tense". Das schließt auch an das an was Verena gesagt hat, dass es bei "uns" allen dann doch ganz Stark um Filmvermittlung geht. Also als These formuliert ist es schon ein Merkmal dieser / unserer "anderen Kinokultur" dass unsere Praxis einen anderen Umgang mit Film und Kino ausmacht, als es in dem hauptsächlich kommerziellen Bereich praktiziert wird. In dem Zuge dann auch Eine Frage an Grandfilm, kollidiert ihr mit anderen Verleihern, wenn es um den Erwerb der Filmrechte geht?

Tobias Lindemann: Wir sehen in unserer Arbeit eine Notwendigkeit und fragen uns meist eher: warum macht es niemand anders? Und klar, ein Ziel ist es den Film vom Weltvertrieb für wenig Geld zu bekommen, was uns häufig gelingt. Teilweise gibt es kleine Konkurrenzen. Ich bin zum Beispiel immer noch ein bisschen sauer auf einen andere Verleih, weil die es nicht hinbekommen haben SIERRANEVADA von Cristi Puiu herauszubringen, aber das war wohl auch eine Geldangelegenheit. Den hätten wir zum Beispiel auch gerne gehabt. Und gleichzeitig gibt es von den Arthouse Kinos immer die Beschwerde, dass zu viele Filme auf dem Markt sind. Daran merkt man auch, dass im Arthouse Mainstream oft überhaupt kein Verständnis für Filmkultur besteht, sondern ein kleiner Film ist in deren Ansicht ein schlechter Film, was teilweise haarsträubend ist.

Dunja Bialas: Das ist meiner Meinung nach total richtig, und ich finde es super, dass ihr den Laden mal etwas aufmischt, denn viele Filmkritiker*innen stöhnen über die hundertste französische Komödie. Wir wollen das auch nicht mehr, wir besprechen diese Filme auch nicht mehr - das ist dann der Luxus, den sich artechock leistet. Denn ansonsten gibt es einen Verriss, und das trifft dann wiederum die kleinen Arthouse Kinos. Irgendwie stecken wir dann doch ganz schön tief drin in dieser Verwertungskette. Und eine persönliche Bitte, bringt wenn irgendwie möglich SIERRANEVADA in die Kinos!

Tobias Lindemann: Ja, drei Stunden rumänisches Kino, wer zeigt das in Deutschland. Wenn wir uns die spannenden Filmländer anschauen in Europa, zum Beispiel Griechenland, Rumänien - in welchen Kinos läuft das? Über solche Filme wird weltweit diskutiert und hier im Arthouse findet es fast nicht statt. Deswegen zurück zur Filmvermittlung, wir versuchen da auch einfach viel stärker Zusammenhänge und internationale Diskussionen zu verdeutlichen und einem Publikum zu vermitteln. Die erfolgreichen Arthouse Regisseure sind seit mindestens 20 Jahren im Geschäft: Jarmusch, Kusturica, Almodovar, etc. und auf die wird sich verlassen. Hier hat es der Arthouse Kinobereich (Verleiher und Kinos) unterlassen in den letzten 15 bis 20 Jahren neue Filmemacher*innen und Künstler*innen aufzubauen, denn es geht ihnen oft nur noch um die Zahlen.

Publikum: Es ist nicht nur so, dass die Kinos die Vermittlungsarbeit nur begrenzt übernehmen, zusätzlich ist es auch die Filmkritik die ein Problem hat, gerade auch in der Presseberichterstattung. Hier wird bei den Festivals zum Beispiel Locarno, Venedig und Cannes nur auf den Wettbewerb geschaut die Nebensektionen tauchen nicht auf. Zudem wird nicht qualitativ über Merkmale gesprochen, das ist ja auch ein Problem, dass die Vermittlung schon im Vorfeld nicht stattfindet, dass die Leute gar nicht neugierig werden könnten, es ist leider nicht Neues, dass die Filmkritik in Deutschland desolat ist.

Dunja Bialas: Ja, die Filmkritik hat ein riesiges Problem und zwar zählt Print immer noch als das heilige, biblische Wort und nur wenn die Filmkritik auf Papier stattfindet hat es der Film sozusagen geschafft. Doch bei Print wird konstant abgebaut, Festivalberichterstattung findet eigentlich nicht mehr statt. Ich hab den Eindruck, dass schon auch immer mehr in den Online Bereich abwandert aus diesem Grund die Filmkritik glücklicherweise auch wieder sichtbarer wird. Dies steht aber nicht in der Traditionen des bürgerlichen Publikums, denn dieses erreicht man im Internet überhaupt nicht.

Manja Malz: Was mich noch interessiert ist, ist es so bei Filmkritiker*innen dass - also bei Dir, Dunja ja - dass Ihr Euch den Film selber aussucht, den Ihr gerne besprechen möchtet, und wie ist das bei den großen Tageszeitungen?

Dunja: Also bei uns ja klar, wir sehen sehr viel mehr als das was wir letztlich leisten können an Besprechungen. Oft haben drei Kritiker*innen von uns den Film gesehen und wir tauschen uns aus oder es gibt widersprüchliche Meinungen, das machen andere Redaktionen nicht!

Manja Malz: Ich hab noch kurz eine Anschlussfrage an Grandfilm, zum Film: DER TOD VON LUDWIG XIV von Albert Serra, der ja ein gutes Presseecho hatte. Wie hat Euch das wiederum geholfen mit den Besucherzahlen und dass der Film in den Kinos lief?

Tobias Lindemann: Ich kann mich über die Filmkritik nicht beschweren, denn unsere Filme kommen in den wichtigsten Feuilletons meistens unter und werden auch gut besprochen, wie eben der Albert Serra. Nur spielt oft bei den Kinos eine halbe Seite Süddeutsche und eine halbe Seite FAZ keine Rolle mehr. Wir haben Probleme mit den Kinos in der Zusammenarbeit, denn viele Kinos machen ein Monatsprogramm. Sie zeigen einen Film dann nur eine Woche, er kann sich gar nicht richtig entwickeln und ist dann weg vom Fenster. Es steht und fällt viel mit der Startwoche. Wenn wir den Kinos nicht vermittelt können, dass der Film gute Presse haben wird, dann haben wir als kleiner Verleih verloren, denn mit großen Anzeigenbudgets können wir nicht winken. Also: gute Presse ist gut, aber die Kinos zu überzeugen schwierig.

Philip Widmann: Aber eigentlich müssten die Kinos mit der mittlerweile komplett durchgesetzten Digitalisierung in der Lage sein, darin viel agiler zu werden. Also sowohl was ihre fixen Wochenpläne angeht, als auch was die Industriestandards von Filmlängen von 80 bis 120 Minuten angeht.

Tobias Lindemann: Es gibt in vielen Kinos überhaupt keine kritisch Distanz zu den eingeführten Filmverleihern, sondern es wird mehr oder weniger fraglos von den etablierten Verleiher alles gebucht. Der häufigste Spruch, wenn ich irgendwo anrufe, ist: wir sind schon voll. Das ist immer das Gleiche und da geht es gar nicht darum, was ich eigentlich für einen Film anbiete.

Sarah Adam: Ich möchte die aufgezeigten Positionen gerne noch einmal rückbinden an die Fragen des Symposiums, denn zum Einen fangen "wir" an uns über "die Großen" zu beschweren, was ja durchaus richtig und wichtig ist. Und Dunja hat eben ganz explizit gesagt, "Wir sind anders" - also können wir festhalten, dass wir doch anders sind. Um dies positiv zu deuten: wenn "die Großen" so vieles Falsch machen, bzw. bei denen viele Dinge nicht richtig laufen, was läuft denn dann bei "uns" alles richtig? Dies auch konkret als Frage an Verena, die ja gerade gestartet ist.

Verena von Stackelberg: Wir haben erst seit einigen Monaten auf, und ich würde sagen, wir sind gerade noch sehr stark in der Orientierungsphase. In der Umbauphase hatten wir vereinzelte Veranstaltungen, da kamen die Leute sehr zahlreich, einfach weil sie sich das mal anschauen wollten. Diesen Sonderstatus haben wir nun nicht mehr. Ich merke schon, wie hart es ist, wenn ich nach dem ersten Wochenende eines Films die Zahlen anschaue und es waren 15 Leute da. Da rutscht einem das Herz in die Tasche, da es alles tolle Filme sind. Unser Vorteil ist, dass wir kein Monatsprogramm machen, sondern flexibel reagieren können. Aber natürlich brauchen wir auch ein paar Ankerpunkte für die nächsten Monate, damit wir dem Publikum vermitteln können für welche Filme sie wiederkommen sollen.

Manja Malz: Wie lange gibst Du denn den Filmen noch einen Chance wenn die schlecht starten?

Verena von Stackelberg: Ein Problem das viele Kinos haben, ist dass sie den Filmen oft die Mundpropaganda nicht mehr erlauben können. Es gab zum Beispiel einen Film, der lief nicht so gut am Anfang, und dann haben wir den aber stur auf der Hauptschiene weitergespielt (MEINE GLÜCKLICHE FAMILIE von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß), dann sind die Zahlen hoch gegangen. Daran sieht man auch, man muss einen Film auch mal ein bisschen pflegen. Zudem ist es auch frappierend wenig was von den vielen Neustarts pro Woche wirklich gut ist. Deswegen ist es meiner Ansicht nach besser vorsichtig kuratierte Programme zu machen, und den guten Filmen die Zeit zu lassen und ein Publikum aufzubauen.

Manja Malz: Das heißt Du hast auch alle Filme gesehen, die Du zeigst.

Verena von Stackelberg: Einer von uns, also wir zeigen keine Filme die wir nicht gesehen haben.

Manja Malz: Das ist nämlich eine interessante Frage, ob viele Kinos die Filme die sie auswählen vorher gesehen haben.

Verena von Stackelberg: Nein, ich glaube das tun sie nicht - wir sind uns da alle ziemlich einig!

Publikum: Dafür gibt es dann ja die Trailer.

Verena von Stackelberg: Ein wichtiger Punkt und großer Fehler ist, dass wir den Menschen nicht genug zutrauen, das ist glaub ich weltweit ein Problem, das man denkt die Menschheit verdummt.

Tobias: Ich glaub das hat wirklich ein Schneeballeffekt, die Kinos sehen womit man Geld verdienen kann und verlassen sich dann nur noch darauf, da ist wirklich viel auf der Strecke geblieben. Und irgendwann ist ein älteres Publikum nicht mehr da, und was passiert dann? Das ist sehr kurzfristig gedacht, man muss doch irgendwie auch ein junges Publikum ansprechen.

Sarah Adam: Ist die "andere Kinokultur" also eine Generationenfrage, also "wir" eine andere Generation, die irgendwann inklusive Publikum nachrücken wird? Und wenn wir das aus der Historie heraus betrachten: war das schon immer so? Eben hat Tobias auch den Begriff Lücke genannt, die Ihr mit Grandfilm füllt; wir mit dem B-Movie füllen definitiv auch eine Lücke, dasselbe tifft auf Wolf zu und auf artechock. Und LaborBerlin ist gerade total "up and coming", da sie die einzigen sind die dieses spezielle Angebot an eigenständiger und unabhängiger analoger Filmentwicklung überhaupt noch bieten können. Somit stellt sich schon die Frage, wann tun sich diese Lücken auf, oder ist es so, dass es dieses Diskursräume früher wirklich nicht gab, sondern von uns entwickelt wurden?

Philip Widmann: Vielleicht war es ja auch schon mal besser als es jetzt gerade ist? Ist es nicht vielleicht so, dass wir jetzt gerade in schlechten Zeiten Avantgarde sind? Also die Nachfolger*innen einer besseren Avantgarde, die vielleicht viel radikaler nicht-industriell Kino gemacht haben? Ich glaube diese Dinge setzen sich immer fort, denn natürlich ist es einfach an diesem System irgendwie teilzunehmen, das ist auch eine bestimmte Form von Faulheit, und die stirbt nicht aus. Das ist sehr kulturpessimistisch, aber für alles andere muss man auch sehr viel persönlich investieren. Zudem steht auch die Frage nach Investitionshilfen für Projekte und andere Formate im Raum.

Dunja Bialas: Zumindest von Förderseite besteht schlichtweg kein Interesse an Beihilfe für solche Projekte. Förderinstitutionen wollen Erfolgszahlen, die wollen wirklich Mainstream, und die großen Namen die schon überall waren. Es ist extrem schwierig so eine Gegenkultur auf den Weg zu bringen und mich ärgert das dann immer. Wir haben so einen Lieblingsspruch bei Underdox, der stammt von Jean-Marie Straub: "Luxus ist kein Geld zu haben". Das ist natürlich als Konzept fürchterlich. Klar gilt immer weiter machen, nicht aufgeben und sich nicht entmutigen zu lassen, aber die Frage ist auch, zu welchem Preis. Im Gegenteil dazu gibt es auch junge Menschen, die extrem kommerzielles und konventionelles Kino machen, die voll in diesen Arthouse Sektor reinbreschen und krasse Verwertungssysteme etablieren. Es ist leider nicht so, dass dies eine Generationenfrage wäre.

Anja Dornieden: Hier existieren auch verschiedene Ebenen. Wir reden die ganze Zeit hauptsächlich über Spielfilme, die digital ausgewertet werden. Die Blickrichtung von LaborBerlin ist der künstlerische Kurzfilm mit dem wir eher in den Kunstbereich und an alternative Orte gehen. Tobias redet nun zwar von kleineren Regisseur*innen, aber für uns ist das schon wieder eine ganz andere Ebene, auf der wir überhaupt keine Chance haben in dieses System hereinzukommen.

Tobias Lindemann: Ich hab durchaus Hoffnung, auch auf und in junge Leute. Ich kenne in Nürnberg eine Initiative, fast alle unter 30 Jahren und enorm celluloidaffin, die machen 16mm Filmvorführungen im Kommkino in Nürnberg. Ich glaube da kommt schon wieder was anderes nach!

Verena von Stackelberg: Ich glaube diese traditionellen Auswertungskette, die uns jetzt so groß vorkommt, ist ja an sich auch schwach bzw. schwächelt. Parallel dazu gibt es auf der Welt ganz interessante Netzwerke und Auswertungsideen für Filme die teilweise gar nicht mal die Aspiration haben in den klassischen Verleih reinzugehen. Wir reden hier sehr negativ über den Status quo, deswegen sollten wir uns auch daran erinnern wie viele tolle Initiativen es gibt, die genau solchen Arbeiten und Filmen ein ganz anderes Leben ermöglichen.

Sarah Adam: Das ist jetzt nun wieder aus der B-Movie Perspektive gesprochen, ich glaube das wir als Kino mit einem kuratierten Monatsprogramm auch nicht so flexibel sind und zwangsläufig anders agieren. Wir sind in unserer Programmierung sehr hybridhaft, und zeigen auch viel Genre und Repertoire - für das wir uns als B-Movie traditionell verantwortlich fühlen. Deswegen frage ich mich gerade, ist Flexibilität wichtig um überleben zu können und wie kann man ggf. mangelnde Flexibilität auffangen?

Manja Malz: Wobei ich dazu sagen muss, dass wir uns in den letzten drei Jahren schon versucht haben auch Programmschienen frei zu halten um aktuellere Filme zu zeigen, die ansonsten in Hamburg aber nicht laufen würden. Interessant ist, dass dadurch auch Leute kommen die schauen was gerade neu an Kinostarts ist, und so zu uns finden.

Sarah Adam: Und wenn die Leute mal da sind und sich mit unserem Programm auseinandersetzten, dann sind sie eigentlich durch die Reihe weg begeistert. Deswegen noch mal die Frage ins Plenum ob Ihr ähnliche Erfahrungen macht, zum Beispiel Dunja, das Leute auf Dich zukommen und sagen "Oh, das wusste ich gar nicht dass es ein Online Filmmagazin gibt".

Dunja Bialas: Es gibt in der Tat mehrere Einfallstüren zu unserer Website, man kann über die Filmkritikkommen, und Facebook ist mittlerweileunsere größte Eingangstür, das hat sich total gewandelt im Online Publishing. artechock ist eine gemeinsame Anlaufstelle für alle Kinos, für alle Filme und dann auch für qualitativ hochwertige Besprechungen. Also wir haben uns nie nur als Filmkritiker-Magazin verstanden, sondern auch das Augenmerk aufs Kino ist uns seit unseren Anfängen immer total wichtig, denn Film soll im Kino erlebt werden. Und ich wehre mich auch vehement dagegen Filme die zum Beispiel auf Netflix laufen zu besprechen, oder DVD Editionen.

Publikum: Ich bin Kinomacher aus Hannover, vom Sprengel Kino, ähnliches Kino wie hier, und habe eine Frage ans B-Movie. Wenn denn nun vermehrt neue Leute kommen und das Kino entdecken, ist denn dann Eure Besucherstatistik gestiegen?

Manja Malz: In der Tat sind die Besucherzahlen in den letzten beiden Jahren gestiegen. Wir haben lange auch gerätselt, was wir falsch machen, wenn manchmal nur drei Leute im Saal sitzen. Aber an sich ist uns die Besucherstatistik eher egal, denn die Inhalte zählen. Wobei wir wiederum auch nicht überleben könnten, wenn wir nicht ab und zu über 30 Leute in den Filmen haben. Sicher wissen das auch viele Leute nicht: ein Schnitt von 30 Zuschauern pro Aufführung, das ist gut! Und auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit haben wir uns verbessert, sodass nun mehr Leute unser Kino und Programm kennen.

Publikum: Frage an Verena: glaubst Du dass es ein Rolle spielt, dass Ihr ein Kaffee habt, und dass Ihr schon so früh auf macht? Also einen Raum bietet, in denen sich die Leute auch unabhängig vom Kinoerlebnis treffen können.

Verena von Stackelberg: Ja, das ist für uns ganz ganz wichtig. Viele Leute kommen auch nur um einen Kaffee zu trinken, und wir haben jetzt auch einen japanischen Mittagstisch. So lernen die Menschen den Ort kennen und dann kommen sie vielleicht irgendwann einmal wieder und kaufen sich eine Kinokarte. Oder die Besucher*innen stolpern aus dem Kino und treffen an der Bar noch Leute die dort zufällig was trinken waren. Ich glaube das ist ganz wichtig und das ist konzeptionell auch so aufgebaut, dass das eine das andere subventioniert.

Manja Malz: Noch mal ein Themenwechsel und die Frage nach Netzwerken, gezielt an LaborBerlin. Ihr seid Mitglied seid in einem europäischen Netzwerk der Filmlabore, welche Bedeutung hat das für Euch und was für Erfahrungen macht Ihr damit? Denn wir im B-Movie sind in einem europäischen Netzwerk der unabhängigen alternativen Kinos, Kino Climates, und profitieren sehr davon, denn wir und tauschen zum Beispiel auch Programme und Filme aus. Wie gestaltet sich das in Eurem Netzwerk?

Philip Widmann: Das Netzwerk ist sogar international ausgerichtet. In unserer Anfangszeit war der Wissenstransfer sehr wichtig. Es gibt in Paris ein selbst authorisiertes Filmlabor L'Abominable das legendär ist. Von dort hat LaborBerlin viel Wissen bezogen. Und das hat sich daraufhin ausgeweitet, dass Filme ausgetauscht und Leute eingeladen werden. Wenn wir unsere jährlichen Veranstaltungen machen, sind meistens auch Gäste aus unseren Partnerlaboren da. Und der Wissensaustausch geht natürlich weiter und nimmt andere Formen an, dass wir ein Symposium im Rahmen des RE MI Projekts (Re-Engineering Moving Image) machen, ist etwas, woran wir vor einigen Jahren nicht gedacht hätten.

Manja Malz: Dazu anschließend. wir hatten letztes Jahr die französische Experimentalfilmemacherin Gaëlle Rouard zu Gast, die mit verschiedenen Linsen und performativen Elementen eine Live-16mm-Show veranstaltet hat. Leider kamen zur Veranstaltung nur 15 Personen. Wie ist das für euch mit LaborBerlin? Seid ihr da realitätsnah, dass es nun mal Tatsache ist, dass ein Experimentalfilm schwer zu vermitteln ist., und wie bewegt Ihr Leute dazu sich mehr dafür zu interessieren?

Anja Dornieden: Gaëlle Rouard war auch bei uns, hier gibt es sehr intensiven Austausch und da erreichen wir schon mehr Leute - aber eigentlich gehen wir dafür nie ins Kino, sondern eben an andere Orte. Bei unseren eigenen Screenings haben wir schon ziemlich viel Publikum, ungefähr 150 bis 200 Personen, denn in Berlin haben wir schon ein gutes Netzwerk aufgebaut.

Philip Widmann: Und zu den Zeiten als wir danach immer noch eine Party gemacht haben, waren das noch mehr ca. 350 bis 400 Leute.

Dunja Bialas: Also wir haben bei Underdox auch Gaëlle Rouard gezeigt. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass man dem ganzen einen Rahmen geben muss, einfach so Experimentalfilme zeigen, überfordert komplett die Zuschauer*innen, man muss das schon ein bisschen "framen" und das können wir als Festival gut leisten. Es ist aber unfassbar viel Arbeit in der Filmvermittlung und PR und so weiter - man muss das wirklich richtig anschieben.

Sarah Adam: Nun sind wir hier leider zeitlich am Ende angelangt, jedoch ist, bei Weitem noch nicht alles angesprochen und ausdiskutiert. Wir werden nun informell beim Jubiläums -Umtrunk weiter debattieren, Episoden und Erfahrungen austauschen und in Erinnerungen schwelgen.

Vielen Dank an alle Teilnehmende und Gäste, dass ihr den Weg auf Euch genommen habt zu uns zu kommen. Wir wünschen allen einen schönen Abend.